Am Morgen des 15. August 2024 prüfen wir nochmals die Aktualität des Fahrplans. Zum Glück. Denn wir entdecken, dass seit Neuestem eine Ausstiegshilfe benötigt wird in Lugano.
Wir führen ein kurzes Telefonat mit der SBB Hotline und die Person am Telefon organisiert für uns eine Ausstiegshilfe.
Nachher geniessen wir die etwas längere Fahrt über Göschenen, da der Basistunnel immer noch in Revision ist und erreichen ohne Zwischenfälle den Zielort Lugano.
In Lugano wartet ein Mitarbeiter der SBB mit einem Brettchen auf uns.
Siehe da. Es braucht gar keine Ausstiegshilfe. Nachdem wir bemerkt haben, dass der Zugsteil im Rollstuhlbereich zwei Levels hat, schaut der Mann mit dem Brettchen recht komisch, als Moni ohne Probleme den Zug verlassen kann. Ich frage mich manchmal, was denn das für eine Organisation ist, da müssens mal zu uns drausse komma, da geht alles Ruckzuckzackzack.
Nach der Ankunft im Hotel Ibis Budget und dem Check In klopft nach kurzer Zeit Paa an unsere Türe und meint: “Mer send im 611. Tuubeschlaag!”
Wir befinden unser Zimmer genau als “perfekt”. Das grosszügige Rollstuhlzimmer mit Bad.
Im Anschluss machen wir einen Spaziergang durch Paradiso nach Lugano:
Wir machen ein Nachmittagsschlööfli und Moni stellt sich wie eine Schildkröte auf dem Rücken dar. Sie kann sich nicht mehr drehen. Sie bittet mich darum, ihr einen kleinen Schubs zu geben, damit sie sich wieder aufrichten kann.
Ich beginne sie am Hintern leicht zu schieben und Moni verfällt bereits jetzt in einen Lachanfall.
Dann sage ich ihr etwas salopp: “Etz muesch Der chli Müeh gääh!”
Anschliessend vertättscht es Moni natürlich noch mehr und sie steckt auch mich an. Wir liegen beide da und lachen uns kaputt.
Und es wird Abend und die ganze Truppe begibt sich ins Sass Café, um eine Kleinigkeit zu essen.
Wir legen uns nachher hin, damit wir morgen fit sind fürs Testing der Bergbahn.
Wir begeben uns nach Capo Lago Riva San Vitale. Kostenlos. Da wir eine Ticino-Karte von unserem Hotel erhalten. Von dort gehts mit der Monte Generoso Bahn nach oben. Die Fahrt geht durch wilde Natur und Wälder und wir erreichen einen Kreuzungspunkt mit einem Gegenzug. Unser Lokführer steigt aus und legt die Weiche manuell um. Wie vor 50 Jahren. Voll historisch.
Auf dem Gipfel der Bahn angekommen, gehts für Moni direkt ins Restaurant und für die Fussgänger noch auf den Gipfelgipfel. Dieser ist nichts für Rollstuhlfahrer.
“Macht nüüt”, meint Moni und lächelt uns fröhlich zu, während wir die Aussicht geniessen:
Als wir genug haben von allem, machen wir uns an die Rückfahrt. Moni und ich dürfen als allererste einsteigen und erst nach uns dann der ganze Plebs.
Es bietet sich uns ein eindrückliches und bereits beim Losfahren sehr warmes Panorama vom Tessiner Paradies.
Ein guter Tag geht zu Ende, für welchen wir viel Vorabklärungen machen mussten respektive durften.
Den neuen Tag starten wir mit dem Konsumieren von Caffè und Gipfeli im naheliegenden Café. Dieses trägt den Urtessiner Namen: “Münger”. Speziell. Nun gut, wir begeben uns jedenfalls nachher aufs Schiff. In der SBB App steht am Hafen von Paradiso: “Mit Hilfe Fahrpersonal ein-/aussteigen” und in Morcote, unserem Zielort, sogar: “Verbindung nicht rollstuhlgängig”.
Wir führen ein kurzes Gespräch mit dem Kapitän und dieser meint: “No Problema, troveremo già una soluzione.”
Als Moni die Rampe hochfährt, meint er dann doch recht zügig, ich nehme an wegen des doch recht schweren Trucks von Moni: “Ora è necessario premere lentamente l’acceleratore”.
Auch die Tessiner kennen doppelte Pleanasmen.
Moni erlöst den Käptn und sie fährt etwas zügiger aufs Schiff.
Dank des Schiffsführers Anstrengung dürfen wir eine schöne sonnige Schifffahrt geniessen.
Wir kommen in Morcote an und können der Recherche von Moni, dass dieses Dorf das schönste Tessinerdorf sei, recht geben. Wirklich malerisch:
Wir nehmen die Wanderung zu der Kirche in Angriff. Ein “bisschen” die “Berge” hinauf. Paa spricht dort einen Mann an, der gerade am Bussenzettel verteilen ist. Er möchte von ihm wissen, ob der Weg rauf zur Kirche rollstuhlgängig sei und wenn ja, wo dieser denn verlaufe.
Der Polizist versichert uns: “Non ci sono problemi ad arrivare in chiesa con una sedia a rotelle. Prendete questa strada.”
Wir glauben ihm und machen uns bei immer heisser werdenden Temperaturen auf den Weg.
Nach ungefähr einer Stunde Marschzeit und immer noch keiner Kirche weit und breit, gehts weiter und weiter. Die mittlerweile zur Hitze gewordenen Temperaturen beginnen langsam an unseren Häuten zu sengen. Dann endlich!
Wir entdecken die Kirche und zwar etwa 400 Meter Luftweg vom Hafen entfernt.
Weiterhin stellen wir fest, dass da nichts an der Kirche rollstuhlgängig ist. Zig Steinstufen und andere Hindernisse. Auch Paa hat noch etwas zur Rollstuhlgängikeit mitzuteilen:
“Was dänkt dää sech eigentli? Seid dää üüs, es segi rollstuehlgängig ond de lauffsch dää wiiti Wääg i de Hitz ufe ond am Schloss stoohsch vor ere Stägge! Scho ned so rollstuehlfahrerfröndlich!”.
Paa ist viel enervierter als wir. Wir sind es eigentlich überhaupt nicht.
Nachher gehts wieder runter. Paa und ich nehmen den direkten, über steine-, baum- und häusergespickte Weg auf uns:
Maa und Moni hingegen nehmen die Asphaltstrasse zurück. Paa kann das einfach nicht. Er kann nicht den ganzen Tag auf Asphalt gehen, schon gar nicht, wenn es nebenan einen Wanderweg hat.
Wieder unten im Tal gehen Moni und Maa shoppen. Einen neuen Gnöömlihut kaufen, da Moni ihren bisherigen auf einem unserer früheren Trips verloren hatte.
Danach fahren wir erneut mit dem Schiff zurück nach Lugano Paradiso. Der Matrose in Morcote ist sehr hilfsbereit. Der hat kein Interesse am Hinweis in der SBB App von wegen: “KEINE Beförderung von Rollstühlen”. Der Transfer auf das Schiff verläuft dann sagen wir mal: “Nicht schlecht” 🤭. Allenfalls wäre eine Zwischenlösung vom Hinweis der App und dem Euphorismus des Matrosen der optimale Lösungsansatz gewesen.
Es geht zurück ins Hotelzimmer und wir machen uns frisch, um ein letztes Nachtessen mit Maa und Paa zu geniessen.
Ich schlafe relativ schlecht und vor allem nass. Das Bett ist schweissgebadet und wir trocknen dieses während des Tages mit dem Föhn. Zum Glück erwartet uns ein pauschaler Zimmerpreis. Sonst hätten die uns allenfalls noch die Voltampèrestunden für die Betttrocknungsmaschinenlaufzeit in Rechnung gestellt.
Wir bringen die nassen Kleider und einen Teil der Dreckigen hoch in den Taubenschlag von Maa und Paa, welche diese gütigerweise bereits mit nach Hause nehmen.
Die Eskorte von Maa und Paa zum Bahnhof verläuft tadellos und wir verabschieden uns von den beiden.
Moni und ich nehmen nach dem Adieusagen die 4 Kilometer zur “Grotto San Salvatore” in Angriff. Wir können dann immer noch in den Bus einsteigen. Oder dann nur ich und Moni tued de s’Zwöi inne und fährt knapp hinter uns her.
Ich halte durch und wir kommen am Zielort an. In einem kleinen Grotto am Rande von Lugano:
Dort empfängt uns eine super witzige Restaurantbesitzerin mit ihrem Mann, welche uns zur Vorspeise ein äusserst leckeres Tessinerplättli und im Anschluss ein perfektes Rindsfilets, nein besser als jedes Rindsfilet, nämlich Diaframma di Manza, servieren:
Einfach legendär. Und die Bratkartoffeln dazu sind auch wie von einem anderen Stern. Einfach superfein.
Wir lassen uns noch verwöhnen und nehmen dann den Rückweg langsam in Angriff.
Wir gehen an die Bushaltestelle und stellen fest: Das reicht noch bis zur nächsten Haltestelle.
An der Nächsten ankommen, prüfen wir erneut die Zeit und entscheiden uns nochmals eine weitere Etappe in Angriff zu nehmen.
Dann nochmals eine und dann kommt der finale Lap und wir werden doch tatsächlich noch vom Bus überholt. Nun gut.
Es wäre sowieso nicht sicher gewesen, ob Moni in den Bus steigen hätte können oder ob sie dann doch noch selbst fahren hätte müssen.
Deutsch kann wirklich sehr komplex sein, wenn man das will.
Jedenfalls kommen wir wieder im Paradies äääh in Paradiso an und gehen zurück aufs Zimmer. Müde und froh über das Erlebte legen wir uns schlafen, um morgen dann fit für die Heimfahrt zu sein.
Diese Nacht schlafe ich viel besser und Moni dagegen Grottenschlecht. Aus diesem Grund werfen wir am Morgen einen Blick auf die Uhr und entschliessen uns dazu, das Paradies zwei Stunden früher als geplant zu verlassen.
Die Rückreise fühlt sich an wie in einer Tiefkühltruhe! Brutal diese Kälte. Zum Glück hat Moni ein dünnes Jäckchen dabei. Sie gibt mir dieses und ich kann wenigstens einen Bruchteil der Wärme aus den Ferien erhalten und in die Zentralschweiz mitnehmen.
Vielen Dank liebe Moni. Du besch de Ängu wo ech mer gwönscht ha.